Antwort an Knut Dahl: „Ich bin ein Voyeur. Ich darf das.“

Lieber Knut,

gestern hast du deinen Text: Ich bin ein Voyeur. Ich darf das. als Replik auf Blogbeiträge von
Ralf-Peter und mir veröffentlicht. Auf Facebook habe ich dazu geschrieben: Da muss ich noch drüber nachdenken. Ich hab´s getan. Hier meine Antwort, ich fasse mich kurz. 😉

Ja, vielleicht ändert sich das, was wir unter „Menschenwürde“ verstehen. Es ändert sich aber nicht die Menschenwürde „an sich“, sondern wir stehen stets in Beziehungen und Bezogenheiten und diese unterliegen einem ständigem Wandel. Daher muss das, was sinnvollerweise unter „Schutz der Menschenwürde“ verstanden wird und werden kann  immer wieder neu diskutiert und ausgehandelt werden. Nicht in dem Sinne, dass am Ende (zwingend) Gesetze oder moralische (Ver-) Urteilungen stehen, sondern das Menschen (besser) wissen, was sie tun und warum und was sie vielleicht besser lassen, um Schaden von sich und anderen abzuwenden. (Manchmal vielleicht aber auch Gesetze, siehe die aktuelle beginnende Debatte um Sterbehilfe.) Die ganzen schönen neuen Möglichkeiten des Netzes fordern uns heraus, hier nachzudenken und miteinander zu sprechen und Meinungen auszutauschen.

Deswegen aber interessiert es mich nicht, ob du ein Voyeur bist. Sondern ich interessiere mich für den Schutz des Opfers. Das mag pathetisch klingen. Aber das weltweite Web hat die Eigenart, dass (fast) alles, was irgendwo gepostet wird, kaum wieder verschwindet. Deswegen halte das Nachdenken über ein „diskretes Sterben“ und das heißt für mich ein nicht-öffentliches Sterben für sinnvoll.

Ich kann mich natürlich auf den Standpunkt stehen, kann doch jede/r machen, was er/sie will. Klar, stimmt ja auch, hindern kann ich niemand. Schon gar nicht den Voyeur, die Voyeurin.  Aber vielleicht nachdenklich machen, ob ich wirklich „alles“ veröffentlichen will oder ob es nicht doch   einen Bereich gibt der privat bleiben und nicht öffentlich werden sollte. Weil es eben schwer aus der Welt zu schaffen ist (sollte ich es mal bereuen) und um des Schutzes des privaten Raums.

Hannah Arendt hat zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich unterschieden. Zwischen Dingen, die für die Öffentlichkeit und anderen, die für die Verborgenheit bestimmt sind. Und zu letzteren gehören für sie die grundlegenden Körperfunktionen, “all das, wozu der Lebensprozeß unmittelbar nötigt” (Vita Activa oder Vom tätigen Leben, S. 88). Ich stimme ihr zu und bin der Meinung, dass der unmittelbare Sterbeprozess hierzu gehört. Wo er anfängt, darüber muss gestritten werden.

Ich bleibe dabei: Das Private gehört nicht in die Öffentlichkeit, um der Menschenwürde willen. Und damit andere nicht voyeuristisch damit umgehen können, plädiere ich hier für Zurückhaltung. Wem das egal ist, okay. Letztlich geht die Debatte um die Fragen: Gibt es überhaupt so etwas wie einen privaten, zu schützenden Raum? Wenn ja, wo beginnt, wo endet er? Und wie gehe ich  mit meinem privaten  Raum um?

Viele Grüße und auf weitere, anregende Diskussionen

Matthias

2 Gedanken zu “Antwort an Knut Dahl: „Ich bin ein Voyeur. Ich darf das.“

  1. Ich denke auch, wir sind uns einig, haben nur unterschiedliche Blickwinkel. Deiner war Selbstschutz, meiner Opferschutz. Ich merke, dass ich das für mich noch nicht so richtig auf den Punkt gebracht habe, es bleibt etwas Unbehagen zurück. Aber das bleibt jetzt so stehen, da ich in den nächsten Tagen zu viele andere Dinge zu bedenken und bearbeiten habe. 🙂

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  2. Lieber Matthias,

    schön, dass wir uns in ontologischen Fragen so schnell verständigen können und dazu noch auf einer relationale Ontologie. Das ist gar nicht so selbstverständlich!
    Dieser Punkt lag mir besonders am Herzen. Dass es nämlich nicht damit getan ist, dass „Dinge an sich gibt“. Nicht Menschenwürde, aber eben auch nicht „Privat“ und „Öffentlich“. Insofern würde für diese Begriffe dasselbe gelten wie für „Würde“, dass sich ändert, was wir darunter verstehen. Das gilt auch für andere Begriffe. Mit dem der „Arbeit“ -und dem damit verbundenen BGE- kennst du dich besser aus als ich.

    Den Begriff „Voyeur“ habe nicht ich in die Debatte gebracht, sondern Ralf Peter. Ich finde diesen Begriff unpassend in der Bewertung von Darstellungen (Text oder Bild) im Internet.
    Wir alle sind „Voyeure“ wenn wir uns im Internet bewegen. Jedenfalls wenn wir uns so bewegen, wie wir drei das tun. Schließlich schreiben wir uns keine (privaten) Briefe, sondern bloggen (öffentlich) und antworten Wiederum öffentlich, obwohl wir uns auch eine private Nachricht zukommen lassen könnten. Warum tun wir das?
    Weil sich unser Verständnis, von dem was privat und was öffentlich ist gewandelt hat. Ohne diese Veränderung hätten wir uns übrigens gar nicht kennengelernt. Gleichwohl ist dieser Kontakt (Freund/Follower) in gewisserweise privater, jedenfalls als zu anderen Kollegen z.B. im Kirchenkreis, weil wir eben im Internet auch private Dinge teilen z.B. (private) Radreisen in den Alpen. (Anm. Meine Tagebücher sind leider immer noch handgeschrieben im Schrank, obwohl ich sie auch veröffentlichen wollte).
    Die Frage ist m.E. nicht, ob es einen schützenswerten, privaten Raum gibt, sondern vielmehr die, ob man anderen, die die Grenze anders gesetzt haben, mit der Menschenwürde kommen muss.

    Unsere Grenzen sind ziemlich kongruent, ich kenne nur ein Foto deiner Frau, weil Facebook es mir vorschlägt. Fotos deiner Kinder kenne ich auch keine. Kurz: Unser Bedürfnis der Synchronisation der digitalen Identität mit der des kohlenstofflichen Alltages sind arg begrenzt. Bei jüngeren Kollegen sieht das schon deutlich anders aus.

    Ich bin auch mit dir darüber einig, dass „grundlegende Körperfunktionen“, wie du schreibst, für die Verborgenheit bestimmt sind. Dazu gehört sicher der Sterbeprozess, allerdings auch der Koitus, der millionenfach im Internet voyeuristisch verfolgt werden kann.
    Mein Plädoyer war daher nicht „soll doch jeder machen, was er will“, sondern: Wenn viele machen, was sie wollen, muss immer noch ich entscheiden, ob ich hinschaue, oder (besser) wegschaue. In meinem Fokus war nicht der „Opferschutz“, sondern der Selbstschutz.
    Medienpädagogisch bin ich davon überzeugt, dass es besser ist sich Gedanken darüber zu machen, wie man in einem -auch ethisch- grenzenlosen Internet mit den eigenen Grenzen umgeht. Und vor allem, wie wir die Generationen, für die das Internet (und der Koitus) schon immer öffentlich verfügbar waren so anleiten, dass sie andere und sich selbst nicht zu Opfern machen.

    Viele Grüße (und sorry; auch euch allen da draußen für diesen langen Text)
    knuuut

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