Eine Landschaft auf beigem Grund.
Verschwommen grünblaue Hügel
zwischen gelbem Feld
und rotem Himmel.
Oben drüber steht:
Gedichte
und:
zarte takte tröpfelt die zeit
Ich blättere um.
Bilder wie dieses fielen mir ins Auge.
Auf Facebook, wo ich Marlies Blauth begegnet bin.
Und ihren Gemälden.
Die Farben und Formen sprachen (und sprechen) mich an.
Dann kam die Ankündigung des Gedichtbands.
Ich war neugierig auf die Sprache, die zu diesen Bildern „gehört“.
Ich fragte nach einem Rezensionsexemplar.
Nun liegt es vor mir.
Flohmarkt
Sie hatten in Kammern und Kellern gekramt
so viele Jahrzehnte wiedergefunden
und alles in Kisten und Körbe verpackt.
Auf breiten Tischen boten sie
ihre Erinnerung feil und merkten
wie ihre Herzen Stück für Stück leichter wurden.
zeiten
– so sind die ersten Gedichte überschrieben.
Erinnerungen werden wach,
an Orte, an Menschen.
Alles ist vergänglich.
Ein traurigsüßer Duft weht zu mir herüber.
Manches ist verblasst und ergraut.
Nur noch das goldene Bonbonpapier zeugt von farbigen Tagen,
in Kindheit und Jugend.
Und ich dachte, ja, vielleicht ist das so:
Die beschriebenen und ans Licht geholten Erinnerungen machen das Leben leichter,
trotz allem.
Sie nahmen sich Zeit
Sie saßen einander gegenüber
rührten sich Nichtworte in den Kaffee
und lächelten leer.
Sie nahmen einander die Zeit.
Hintergründige Sprache.
Manchmal nur ein Wort oder zwei – „Nichtworte“ und „leer“
– und in meinem Kopf verschiebt sich der Sinn.
Ich bin verwirrt – und lächle.
Ja so ist es.
Bittertropfend
– steht über dem mittleren Abschnitt.
Harte, ehrliche Worte, die sich mir erst beim zweiten, dritten, vieren Lesen erschließen:
meine mutter
(…)
sie wurde inkontinent
mit der hand fing ich ihren wortschwall auf
und wusste nicht
den tag zu entsorgen
Wer jetzt, die Mutter oder die Autorin?
Ich habe mich anfangs schwer getan mit dem Lesen.
Das hier ist keine Poesie, die „man“ so einfach mal weg liest.
Es hat gedauert, bis ich der Sprache auf die Spur kam.
Bis in mir etwas wiederklang.
Das lag nicht an den Texten, nein.
Sondern an meiner Unerfahrenheit, Poesie zu lesen –
zu atmen, zu verstehen oder was auch immer.
Ich bin dankbar, dass ich etwas schreiben musste.
Und so den Band immer und immer wieder hervorzog.
Diese Erfahrung wäre mir sonst entgangen.
Rückwärts im zug zu fahren
verübelt mir alles –
pausenlos drückt sich
mein ziel verfehlt in den augenblick
Ich habe keine Ahnung, wie „man“ Poesie analysiert.
Habe daher bisher auch den Anhang im Band nicht gelesen.
Aus Angst, er trübte meinen Blick oder verengt ihn verfrüht.
Wer weiß, vielleicht wird verwiesen auf wunderbare Wortschöpfungen
– erinnerungsberg, zahnlückenglücklichsein, buchstabenbrot, wortvorratsschränkchen –
oder auf überraschende Wortwendungen
– im rezessiven blau deiner augen schwimmen die schnittpunkte unserer blicke –
oder auf den Verlauf der Jahreszeiten im Reigen der Gedichte
und den Hauch der Vergänglichkeit, der sich hindurch zieht.
Vielleicht steht das dort oder anderswo.
Mir ist wichtig:
Ich fühle der Sprache auf die Spur gekommen zu sein.
sie schenkte mir
still
ein paar kostbare worte
Irgendwann begann etwas zu schweben.
Worte hoben mich von der Erde empor
– nicht weit –
und ich sah, ahnte, spürte Leben zwischen den Zeilen.
Vorsichtig schauen wir
durch die Dunkelzeit
aufwärts
Manchmal raunte mir fremdes entgegen,
manchmal nahes, wie eben im rückwärts fahrenden Zug.
Und so ende ich zustimmend nickend mit den letzten zarten takten (so der Titel des letzten Teils):
aufbruch
lass dich nicht fesseln
von deinen wurzeln
sie reichen zurück
in die zeit
die dich nicht mehr
nähren kann
nimm wenig mit
außer dir –
gedanken zu tragen
die du nicht brauchst
wiegt zu schwer
lerne für dich
eine neue sprache:
wo freiheit ist
schmeckt das brot süß
Marlies Blauth, zarte takte tröpfelt die zeit, NordPark, 6,50 €
Hier zu haben (und in jeder guten Buchhandlung): http://www.nordpark-verlag.de/Blauth-Marlies-Zarte-Takte.html
sehr, sehr schön.
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